Hohe Verdünnungen in der Natur – Teil 1
Liebe Freunde, liebe Leser!
Spätherbst ist es und die ersten grippalen Infelkte stehen wieder an. Folgende Art von Szenario kommt in deutschen Haushalten dann immer wieder vor: Sie haben Halsschmerzen und gehen an Ihr Medizinschränkchen. Die eine nimmt daraus ein Aspirin, der zweite einen Schluck Meditonsin und eine weitere liest schnell in einem Büchlein nach und wählt daraufhin 10 Kügelchen Belladonna D6.
Bald geht es Ihnen allen wieder besser. Doch sollten Sie jetzt Ihrem Umfeld erzählen wollen, was Ihnen da geholfen hat, dann kommt in aller Regel nur diejenige mit dem Aspirin ungeschoren davon. Dem Rest läuft früher oder später ein Skeptiker über den Weg, und der wird Ihnen etwas husten. Denn Meditonsin ist ein homöopathisches Komplexmittel und Belladonna D6 ein Einzelmittel aus dem Arzneischatz der Homöopathie, hergestellt aus der Tollkirsche.
Mit etwas Glück ist es ein kurzer Schnapper nur, vielleicht ein mit etwas Hüsteln hervorgestoßenes „pure Einbildung“ oder „Placebo“; haben Sie allerdings Pech, bekommt der Skeptiker einen richtigen Anfall.
Denn gerne wird behauptet, die Homöopathie könne gar nicht wirken, weil ihre Mittel so hoch verdünnt seien, dass in ihnen fast nichts mehr oder gar nichts mehr von der Ausgangssubstanz vorhanden ist.
Jetzt stehen Sie ganz verdattert da. Das braucht es aber nicht!
Samuel Hahnemann, der Erfinder der Homöopathie, hatte seine Ausgangssubstanzen verdünnt, weil er massive Nebenwirkungen durch eine zu starke Dosis vermeiden wollte. Bei einer Substanz wie der Tollkirsche nicht völlig abwegig, sollte man meinen. Auch Aspirin gibt man heute, anders als noch während der Spanischen Grippe-Epidemie 1918/19, nicht mehr grammweise. Es gibt Medizinhistoriker, die behaupten, die vielen Millionen Toten gleich nach Ende des ersten Weltkrieges gingen nicht nur auf das Konto des fiesen Virus, sondern eben auch auf die hohen verabreichten Dosen von Aspirin zurück, damals DAS neue „Wundermittel“ gegen Influenza. Scharenweise sind sie an inneren Blutungen gestorben, einer klassischen Nebenwirkung des Medikaments. Und in der Tat, Aspirin wird inzwischen nur noch tausendstelgrammweise verabreicht.
Hahnemann hätte es jedoch beim Verdünnen völlig übertrieben, wird entgegengehalten. Da werde nicht mehr im Milligramm-Bereich gearbeitet, bei den Verdünnungen in der Homöopathie müsse man ja froh sein, wenn sich noch ein paar müde Moleküle der Ausgangssubstanz auf den Globuli herumtreiben. Dass die paar Hansel dann noch irgendetwas bewirken sollen, sei völlig ausgeschlossen. Das habe wirklich überhaupt nix mehr mit Biologie oder Chemie zu tun, das sei dann pure Einbildung, behauptet der Skeptiker nun naserümpfend und im überzeugten Glauben, dass Wissenschaft und Natur ihm hier den Rücken stärken. Hoffentlich holt er sich da keine lange Nase und verkühlt sie sich.
Bevor Sie jetzt weiterlesen, empfehle ich eine kurze musikalische Einlage dazwischenzuschalten:
https://www.youtube.com/watch?v=S-lHrDPjGfQ
Und der Haifisch, der hat ein feines Näschen
Derweil zitiere ich aus meinem neusten Büchlein Homöopathie 100 Seiten:
"Hahnemann hatte noch nicht wissen können, was für ein feines Näschen der Haifisch hat. Mir selbst wurde das erst bewusst, als ich Frank Schätzings wirklich inspirierendes Werk Nachrichten aus einem unbekannten Universum gelesen habe. Schätzing, das wird einem dabei schnell klar, hat ein Faible für Haifische, und ich meine nicht so sehr für den aus Brechts Dreigroschenoper oder für den in old Satchmos unvergesslicher englischer Umsetzung von Mackie Messer, sondern for the real thing. Wie auch die Handtasche der Miss Evolution, auf die ich später noch einmal zurückkommen möchte, findet Schätzing den Haifisch bemerkenswert, unter anderem wegen seines Geruchssinns. Als Connaisseur hat der Hai ein absolutes Näschen, wenn es um Blut geht. »Ein einziges Blutmolekül auf 1,5 Millionen Wassermoleküle reicht ihm aus, die Spur nicht wieder zu verlieren.« Uns interessiert hier natürlich der Verdünnungsgrad, also 1 zu 1 500 000. Das entspricht in etwa der gängigen homöopathischen Potenz D6."
Also, ein Fläschchen homöopathisches Sangre (Blut) in der Potenz D6 einem hungrigen Hai unter die Nase gerieben, dürfte durchaus dessen Lust auf Globuli erhöhen; auch wenn dieser Fisch ganz generell eine gesunde Skepsis gegenüber Zuckerkügelchen jeglicher Couleur an den Tag legt. Unserem zweibeinigen Skeptiker sei an dieser Stelle empfohlen, von Selbstversuchen Abstand zu nehmen und falls doch, der Empfehlung aus Fachkreisen Folge zu leisten, die Globuli nicht direkt mit der Hand zu reichen. Sonst bleibt es nicht nur bei der verschnupften Nase, nachdem ihm die Natur in seinem Glauben so bitterlich enttäuscht hat.
Denn Schätzing, berühmt geworden durch seinen Roman Der Schwarm, hat eher noch unter- als übertrieben. Moderne Erkenntnisse legen nahe, dass die Nase eines Haifischs Verdünnungen bis zur einer Milliarde erhaschen kann. Das wäre 1 zu 1 000 000 000 und entspricht einer homöopathischen Potenz D9.
Ich darf diese Verdünnungen einmal kurz anschaulich machen:
Die Verdünnung von 1 zu 1,5 Millionen (oder homöopathisch etwa die Potenz D6) entspricht einem Liter Blut in einem Pool, der 50m lang, 10m breit und 3m tief ist.
Die Verdünnung von 1 zu 1 Milliarde (oder homöopathisch die D9) entspricht schon einem Liter Blut in einem Kubikkilometer Wassermenge, die also 1km lang, 1km breit und 1km tief ist.
Lange hatten Wissenschaftler gedacht, das habe mit dem prominenten Gesichtsvorbau unseres Knorpelfischs zu tun. Man fiel dem gängigen Trugschluss zum Opfer, ein großes Organ sei gleichzusetzen mit großartiger Leistung. Doch das konnte erst einmal nicht bestätigt werden. Anscheinend riechen andere, klein-nasigere Fische ganz ähnlich gut, ja manche, wie sich in Folge zeigen wird, noch viel, viel besser.
Aber für irgendetwas muss diese ausgeprägte Stubsnase von Schätzings Freund doch gut sein. In der Tat! Mit einem ihrer Sinne stechen Haie nämlich alle anderen im Tierreich aus, und der dürfte nicht nur bei unserem guten Skeptiker die Nackenhaare aufstellen, sondern auch alle Esoterik-Freaks feixen lassen. Denn dieses mit am Ältesten aller Meereslebewesen hat anscheinend im Laufe der Jahrtausende gelernt, die „Aura“ seiner Mitbewohner zu "sehen" – mittels seiner „Lorenzinischen Ampullen". Die sitzen ebenfalls in der Schnauze des Biests und beinhalten unheimlich empfindliche Elektrorezeptoren. So können Haie klitzekleinste elektromagnetische Felder im Wasser aufspüren. Und jedes Tier, das im Ozean lebt, sendet ein elektrisches Feld aus, da durch seine Muskelkontraktionen Bioelektrizität erzeugt wird. Lesen Sie das? Elektromagnetische Felder! Wie eine Aura. Und diese Kaltblüter erkennen das. Rein chemisch läuft da sicher gar nichts mehr.
Es gibt also in biologischen Systemen ganz sicher nicht nur einen chemischen Informationstransfer durch extrem hohe Verdünnungen, sondern einen nicht-molekularen noch dazu. Jedenfalls beim Haifisch. Doch mal so als olfaktorisch völlig Minderbemittelte unter uns: einen „guten Riecher“ zu haben, ist ja selbst unsere Spezies nicht völlig fremd. Das ist dann allerdings nicht der Haifisch in uns, nein, bei mir hat man zwar schon einige, jedoch noch keine solchen Lorenzo-Pullen gefunden. Aber auch wir scheinen manchmal ein gutes „Näschen“ zu haben, dann, wenn nicht nur die „Chemie“, sondern auch die „Ausstrahlung“ des Gegenübers passt.
Natürlich ist die erstaunliche Spürnase des Haifisches kein Beweis für die Wirksamkeit der Homöopathie und seiner Mittel. Aber das pauschale Abtun, diese Heilmethode könne überhaupt nicht wirken, weil hier hochverdünnte Substanzen eingesetzt werden, ist naturwissenschaftlich sicher nicht mehr gerechtfertigt.
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Sven Sommer
PS: In Hohe Verdünnungen in der Natur - Teil 2 wird es um die unglaubliche Sehnsucht des europäischen Aals nach dem Duft von Rosen gehen.
PPS: Wer jetzt große Angst vor dem nächsten Urlaub am Meer bekommen hat, der sollte wissen, dass sich die meisten Experten einig sind: Für den Haifisch riechen wir Menschen nicht nur nicht besonders gut, auch unsere Aura scheint ausgesprochen unappetitlich zu sein. Solange wir ihm also noch genug anderes zu fressen lassen, weicht er in aller Regel gerne darauf aus. Ein weiterer Grund für den, der sich selbst homo sapiens nennt, die Meere nicht vollkommen leer zu fischen.